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Es gibt jene, die meinen, dass zur Verehrung Muad'dibs nichts weiter nötig ist, als ein Gebet aufzusagen, eine Kerze zu entzünden und eine Prise Sand über die Schulter zu werfen. Es gibt jene, die meinen, dass es genügt, Schreine zu errichten, mit Bannern zu wedeln und Tand zu sammeln. Ich habe sogar von welchen gehört, die sich die Hände aufschneiden und Blut auf dem Boden vergießen, weil sie glauben, dadurch Muad'dib zu ehren. Warum sollte mein Sohn noch mehr Blut brauchen, das achtlos in seinem Namen vergossen wird? Davon hat er genug. Wenn ihr Muad'dib wahrhaft ehren wollt, dann tut es mit eurem Herzen, eurem Verstand und eurer Seele. Und geht niemals davon aus, dass ihr den ganzen Muad'dib kennt. Es gibt sehr viel, was niemals über ihn enthüllt werden kann.
Lady Jessica bei einer Ansprache an die Pilger am Raumhafen von Cala City
Nach dem Fall von Shaddam IV. waren Pauls eifernde Anhänger sieben Jahre lang über das Imperium hergefallen. Die Aussicht auf Frieden erschien nur noch wie eine Ahnung von Sonnenschein während der monatelangen Sturmsaison auf Caladan.
Da sie die absurden Verzerrungen nicht mehr ertrug, die das Qizarat und Muad'dibs Propagandamaschinerie verbreiteten, hatte Jessica Arrakis verlassen und war nach Caladan zurückgekehrt, wo sie ihre Meinung für sich behielt und mit Hilfe von Gurney Halleck über ihr Volk herrschte.
Doch aufgrund der Leidenschaft, die Muad'dib entfachte, folgten ihr Pilger in großer Zahl und warben lautstark um ihren Segen.
Vor dem Ende des Corrino-Imperiums war Caladan eine Welt von nachgeordneter Bedeutung gewesen, beherrscht von einer recht gewöhnlichen Landsraads-Familie. Die Oberhäupter des Hauses Atreides waren im Landsraad sehr beliebt, aber sie waren nie so wohlhabend oder mächtig gewesen wie die Häuser Harkonnen, Ecaz, Richese oder andere aus den ersten Reihen.
Paul Muad'dib, der das Imperium von seinem weit entfernten Thron auf dem Wüstenplaneten beherrschte, hatte seine Heimatwelt seit einer ganzen Weile nicht besucht. Dennoch kamen nach wie vor Pilger nach Caladan, und es war kein Ende in Sicht. Der Raumhafen von Cala City war nicht für den unablässigen Verkehr ausgelegt, der wie eine tosende Flut niederprasselte. Veteranen unzähliger Schlachten, verzweifelte Flüchtlinge und Pilger, die gesundheitlich nicht in der Lage zum Kämpfen waren – all diese Leute kamen, um den Boden zu berühren, auf dem Muad'dib seine Kindheit verbracht hatte, und ein wenig davon mit nach Hause zu nehmen ...
Jessica glitt eine Treppe zur Hauptebene von Schloss Caladan hinunter, wohl wissend, dass im Audienzsaal, wo Leto einst den Beschwerden, Forderungen und Bedürfnissen seines Volks gelauscht hatte, eine Menschenmenge wartete. Mehr als zwanzig Atreides-Generationen hatten vor ihm das Gleiche getan. Jessica konnte diese Tradition jetzt nicht brechen.
Draußen auf dem gewundenen Weg, der vom Küstendorf heraufführte, hörte sie das Klingen der Hämmer der Steinmetze, die das Pflaster ausbesserten und Kies nachfüllten. Gärtner rissen sterbende Sträucher aus dem Boden und pflanzten neue, in dem Wissen, dass sie das Gleiche in weniger als einem Monat wieder würden tun müssen. Trotz Verbotsschildern und Wachen, die an der Straße patrouillierten, steckten die Pilger von anderen Welten Kieselsteine ein und zupften Blätter von Büschen, als Andenken an ihren Besuch auf dem heiligen Caladan.
Die Fremdweltler kamen in verschiedensten Gewändern – sie trugen Bänder mit dem Namen Muad'dibs, hielten winzige Säckchen mit Sand in den Händen, der angeblich von Arrakis stammte, oder Sammlerstücke, die angeblich in irgendeiner Verbindung zum Imperator standen. Die meisten dieser Gegenstände waren Billigprodukte oder Fälschungen oder beides.
Jessica betrat den Saal und stählte sich, als sie die schiere Masse von Menschen sah. Gurney war früher gekommen, um diejenigen, die Petitionen vortragen wollten, von der großen Menge der Besucher zu trennen, die einfach nur einen Blick auf die Mutter Muad'dibs erhaschen wollten. Von jenen, die darum baten, sich direkt an sie wenden zu dürfen, gab Gurney den auf Caladan Geborenen den Vortritt und verbannte die Übrigen, die sich lediglich vor ihr niederwerfen wollten, ans Ende der Schlange.
Als Jessica den Gang zum Kopfende des Saals entlangschritt, verstummten die Leute vor ihr, und in ihrem Kielwasser folgte ehrfürchtiges Raunen. Sie hielt den Blick geradeaus gerichtet. Sie wusste, wenn sie sich dazu herabließ, einen der Bittsteller zur Kenntnis zu nehmen, würde man ihr Hände oder Kinder entgegenhalten und ihren Segen erflehen.
Wenn die Ehrwürdige Mutter Mohiam sie jetzt sehen könnte! Jessica fragte sich, ob ihre alte Lehrerin beeindruckt oder entsetzt wäre. Die Bene Gesserit verabscheuten und fürchteten das, was aus Paul geworden war, obwohl sie selbst viele Generationen lang daran gearbeitet hatten, einen Kwisatz Haderach zu erschaffen. Unter der Herrschaft Muad'dibs hatte die Schwesternschaft schwer zu leiden, und Paul machte keinen Hehl daraus, wie sehr er sie verachtete. Trotzdem traten die Frauen immer wieder an Jessica heran und baten sie um Hilfe und Verständnis. Bislang hatte sie sie ignoriert. Jessica fand, dass die Bene Gesserit schon genug Schaden angerichtet hatten.
Neben ihrem erhöhten Sitz am Ende des Saals stand Gurney wie ein Wachhauptmann. Obwohl er selbst ein Graf und ein hochangesehener Held zahlreicher Schlachten war, entsagte er seiner Autorität zugunsten Jessicas, wenn sie den herzoglichen Thron bestieg. »Nun gut, lasst uns beginnen«, sagte sie. »Ihr Leute habt doch sicher Wichtigeres zu tun, als den ganzen Tag hier rumzustehen.« Die Zuschauer schienen ihren trockenen Humor nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Jessica erkannte den ersten Bittsteller, der vortrat, einen bärtigen alten Mann in traditioneller Fischerkleidung, der ein Medaillon an einem blauen Band um den Hals trug. Mit dem Schmerbauch und den stockdünnen Beinen war Bürgermeister Jeron Horvu die meiste Zeit seines Lebens über das gewählte Oberhaupt von Cala City gewesen. Der Alte Herzog selbst hatte ihn noch gefördert.
Der Bürgermeister war offenkundig sehr bekümmert. Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen gerötet, und seine Lider waren schwer vom Schlafmangel. Er bedachte Jessica mit einer knappen, förmlichen Verbeugung, die einige der Versammelten als unzureichende Ehrerbietungsbezeugung betrachteten. »Mylady, wir werden belagert. Ich flehe Sie an, uns zu helfen. Retten Sie unsere Welt.«
Zahlreiche Pilger blickten sich mit geballten Fäusten um, bereit, gegen jeden zu kämpfen, der es wagte, Caladan zu bedrohen ... ohne zu begreifen, dass der Bürgermeister sie meinte.
»Schildern Sie mir, was genau Sie meinen, Jeron.« Sie beugte sich vor, um ihn zu ermutigen. »Ich habe Sie stets als jemanden erlebt, dem nur das Beste für Caladan und sein Volk am Herzen liegt.«
»All diese Fremdweltler!« Horvu zeigte auf die hinter ihm versammelten Massen. »Sie sagen, dass sie kommen, um Paul Atreides zu ehren, den Sohn unseres edlen Herzogs, doch dann plündern sie unsere Städte, trampeln das Küstenland nieder und trüben die Gewässer! Ich bin mir sicher, dass sie es gut meinen«, fügte er schnell hinzu, in dem Versuch, das wütende Brummen zu beschwichtigen, das sich im Audienzsaal erhob, »aber ihre Absichten spielen keine Rolle, wenn alles, was uns lieb ist, geplündert und zerstört wird.«
»Red weiter Mann, drück dich genauer aus«, drängte Gurney. »Die anderen müssen es hören.«
Der alte Mann zählte einzelne Punkte an den Fingern ab. »Erst letzte Woche mussten wir drei Anlegestellen im Hafen ersetzen, weil das Holz so schlimm gesplittert und geschwächt von den zahllosen Menschen war, die sich Stückchen davon als Andenken mitgenommen haben. Nur weil Herzog Leto Atreides dort sein Boot Victor festzumachen pflegte!« Er verdrehte die Augen, um zum Ausdruck zu bringen, wie absurd er die Vorstellung fand.
»Unsere Herbergen werden bestürmt. Unsere Straßen quellen über vor Menschen, die im Rinnstein schlafen, die Händler bestehlen und ihre Diebereien rechtfertigen, indem sie behaupten, Muad'dib wäre all seinen Gefolgsleuten gegenüber großzügig! Und vergessen wir nicht diese Scharlatane von Souvenirhändlern, die gefälschte Teile von Dingen verkaufen, die Muad'dib angeblich berührt oder gesegnet hat. Es ist allgemein bekannt, dass sie einfach alles einsammeln, was sie finden und den leichtgläubigen Pilgern verkaufen können, die erkleckliche Summen zahlen, ob nun mit oder ohne Echtheitsbeweis.«
Nachdem er sich in Rage geredet hatte, ließ Horvu nicht mehr locker. »Die Fischereigewässer sind voller Touristenboote, so dass unsere Fänge drastisch zurückgehen, und das zu einer Zeit, in der Tausende zusätzlicher Mäuler zu stopfen sind! Unsere ganze Lebensweise wird mit Füßen getreten, Lady Jessica. Bitte helfen Sie uns.« Horvu hob die Hände. »Bitte sorgen Sie dafür, dass diese Leute nicht mehr kommen.«
»Das dürfen Sie nicht, Sayyadina!«, rief jemand aus der Menge. »Dies ist die erste Heimat Muad'dibs, ein heiliger Ort der Hadsch. Der Messias wird jeden, der uns den Zutritt verwehrt, mit einem strafenden Blitzschlag vom Himmel niederstrecken.« Zustimmende Rufe erklangen.
Horvus Mut sank angesichts der schieren Gehässigkeit, mit der die Zuhörer sein Gesuch beantworteten, doch Jessica erhob sich. Sie hatte genug. »Es ist nicht Sache des Imperators Paul Muad'dib, irgendjemanden vom Himmel herab zu strafen. Das ist allein Gott vorbehalten. Wie könnt ihr es wagen, sowohl Gott als auch meinen Sohn zu beleidigen, indem ihr so tut, als hätte er solche Kräfte!« Ihre Worte ließen die Menge vor Schreck verstummen. »Wollt ihr nicht vor jenen geschützt werden, die euch betrügen? Nun gut, ich befehle Folgendes. Als erste Maßnahme müssen alle Verkäufer ihre Behauptungen zu meiner Zufriedenheit beweisen, bevor sie irgendwelche Artefakte feilbieten.
Zweitens ändere ich hiermit unser Gesetz: Jeder, der dabei erwischt wird, wie er das gute Volk von Caladan bestiehlt, wird als jemand betrachtet, der von Muad'dib selbst gestohlen hat. Ein Qizarat-Gericht soll sich seiner annehmen.« Das ließ die Menschen vor Verblüffung verstummen, denn alle wussten, wie schwer die Priester ein solches Verbrechen bestrafen würden.
»Und drittens: Wir beschränken die Anzahl der Pilger, die Caladan besuchen dürfen, und jene, die eine Erlaubnis erhalten, werden ab sofort eine beträchtliche Gebühr für ihr Visum zahlen. Die Einnahmen werden dazu verwendet, all das zu ersetzen, was Pilger beschädigt oder gestohlen haben.« Zufrieden mit ihrem Erlass nickte Jessica. »Gurney, bitte arbeite mit Bürgermeister Horvu zusammen, um ein angemessenes Vorgehen zu entwickeln und umzusetzen.« Sie verlieh ihren Worten einen scharfen Unterton und setzte eine Spur der Stimme ein, um die Ehrerbietung auszunutzen, die diese Gefolgsleute ihr entgegenbrachten. »Ich habe gesprochen, im geheiligten Namen Muad'dibs.«
Jessica sah, wie sich Tränen der Dankbarkeit in den geröteten alten Augen des Bürgermeisters sammelten, doch in den Gesichtern der Umstehenden konnte sie keine vergleichbaren Reaktionen erkennen. Sie respektierten und fürchteten die Herzogin, aber ihr Urteil gefiel ihnen nicht.
Dann sei es so, dachte sie. Anderswo im Imperium sollten Pauls Fanatiker ungebremst Amok laufen. Aber nicht auf Caladan.